Per Olov Enquist: Der Besuch des Leibarztes

Den Roman „Der Besuch des Leibarztes“ von Per Olov Enquist habe ich vor einer Woche auf einer Büchertauschbörse entdeckt. Er ist inzwischen eines meiner Lieblingsbücher.

Titelbild: Der Besuch des Leibarztes

Quelle: S. Fischer Verlag

Die Geschichte handelt von dem deutschen Arzt Johann Friedrich Struensee, der im Dänemark des 18. Jahrhunderts praktisch zwei Jahre lang alleine regieren kann, indem er das Vertrauen des verrückten jungen Königs Christian VII. gewinnt.

Die Verhältnisse in diesem Land waren in der Zeit des Absolutismus sehr seltsam: Eine brutale Erziehung hat den jungen König psychisch zerstört. Er denkt, die Welt sei eine Art Theaterspiel. Zum Regieren ist er völlig untauglich. Trotzdem bekommt er praktisch die alleinige Macht im Staat.

Etwas ausführlicher stehen meine Eindrücke in meiner Rezension auf Amazon.

Sterne

Die Geschichte hat drei Hauptfiguren: Neben dem König sind das der Arzt Struensee und die junge Königin Caroline Mathilde. Der König lebt in seiner eigenen seltsamen Welt. Seine beiden Hauptantriebe sind Angst und die Suche nach Vergnügen. Letzteres erfüllt sich bei der Prostituierten Stiefel-Catherine und bei Spielen mit seinem schwarzen Kindersklaven und seinem Hund.

Struensee ist ein Idealist, der die Welt verbessern will, zuerst als Armenarzt in Altona (das damals zu Dänemarkt gehörte) und dann als Aufklärer und Helfer der Elenden, indem er von seinem Schreibtisch aus Hunderte von Dekreten aufsetzt. Der König legitimiert sie alle.

Er hat niemanden, mit dem er sich austauschen kann. Der jungen Königin aus England geht es ebenso. Sie verlieben sich ineinander und die Liebesszenen sind großartig geschrieben. Die beiden bekommen zusammen eine Tochter.

Die junge Königin war sozusagen als Mensch ohne Eigenschaften gedacht. Sie ist hauptsächlich dazu da, Erben zu gebären. Jedoch wächst ihre Persönlichkeit und sie zeigt einen scharfen Verstand, während Struensee in machtpolitischen Fragen ziemlich naiv ist. Dazu kommen Sinnlichkeit, Lerneifer und Lebensfreude.

Strich

Das Ende ereilt den Leibarzt und seine Königin nach einem schönen Sommer auf Schloss Hirschholm durch einen Putsch: Die Königinmutter unterschreibt Befehle, um Struensee, die Königin und den König festzunehmen und sie Geständnisse unterschreiben zu lassen.

Dahinter steht ein gewisser Guldberg, ein religiöser Fanatiker und ehemals wichtigster Vertrauter des Königs, für den die Aufklärung des Teufels ist. Guldberg wirkt klein und unansehnlich und er stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Die Welt der Schönen und die Sinnlichkeit sind ihm verschlossen. Er sieht sich als ein Rächer der Kleinen und er will den Sumpf am Hof, wo viel gehurt und gesoffen wird, trocken legen.

Eine weitere Nebenfigur ist ein Flötenspieler namens Graf Brandt, der am Ende hingerichtet wird, weil er den König verprügelt und ihn in den Finger gebissen hat. Diese Schilderung war meine Lieblingsszene.

Und dann ist da noch ein Graf Rantzau, nach außen hin ein Aufklärer und Anhänger Rousseaus, der durch ganz Europa gereist ist, ohne seine Rechnungen zu bezahlen. In Altona war er Struensees Freund und Förderer. Am Hof wird er zum Verräter.

Last, but not least, findet der König Verständnis, Liebe und Geduld bei der Prostituierten Stiefel-Catherine, der Herrscherin des Universums, die sich dadurch auszeichnet, dass sie Zeit für ihn hat.

Am Schluss wird Struensee hingerichtet und die Königin muss ins Exil gehen, wo sie einige Jahre später ermordet wird.

Sterne

Es gibt eine Reihe von Dingen, die mir an diesem Buch sehr gefallen haben:

  • Der gekonnte Stil, wobei Wiederholungen und eine gewisse Unordnung bei der Beschreibung der Geschichte vermutlich beabsichtigt sind.
  • Die Charaktere und die Beschreibung ihres subjektiven Erlebens.
  • Der historische Hintergrund, vor dem uns ganz nebenbei Voltaire und Diderot begegnen.
  • Denkanstöße zum Gedeihen der Liebe in unmenschlichen Verhältnissen und zur Umsetzung einer gerechteren Ordnung.

Ein ziemlich tolles Buch.


Facebook    X/Twitter    WhatsApp    LinkedIn    E-Mail