Karte und Gebiet: Das Leben eines originellen Künstlers, der hilft, den Mord an seinem Autor aufzuklären
Laut Michel Houellebecq muss ein bildender Künstler heutzutage folgendes tun, um dauerhaft erfolgreich zu werden:
1. Originell sein: Etwas Neues in die Welt bringen
2. Ständig bei diesem neuen Blickwinkel oder dieser neuen Arbeitsweise bleiben.
Im Roman „Karte und Gebiet“ lernen wir den Fotografen und Maler Jed Martin kennen. Er ist der Sohn eines wohlhabenden Architekten, der Ferienwohnungen am Meer baut. Seine Mutter hat Selbstmord begangen. Jed, der Sohn, landet seinen ersten großen Wurf, indem er Straßenkarten von Michelin fotografiert, nachdem er ihre Schönheit entdeckt hat: Die Karte ist manchmal interessanter als das Gebiet.
Die Firma Michelin kooperiert mit ihm. Es gibt Ausstellungen und erfolgreiche Verkäufe über das Internet. – Bis er genug davon hat und zur Malerei wechselt. Er malt Menschen, die im Berufsleben stehen, darunter auch Größen wie Steve Jobs, Jeff Koons und am Ende den Schriftsteller Michel Houellebecq, der dafür das Vorwort für den Katalog einer Ausstellung schreiben soll.
Houellebecq erscheint bei Martins ersten Besuchen als versiffter Alkoholiker, der in Irland lebt. Der Autor übersiedelt jedoch in die französische Provinz und wird dort (mitsamt seinem Hund Platon) zum Opfer eines Serienmörders, der ihm den Kopf abschneidet.
Jed Martins Bilder sind Hunderttausende von Euros wert. Dadurch entsteht für den kurz vor der Pensionierung stehenden Kommissar Ferber, der kinderlos mit seiner Frau und einem unfruchtbaren Hund zusammenlebt, ein Ansatzpunkt, um den Mörder zu finden: Der Mörder hat nämlich anscheinend das Bild mitgenommen.
Spoiler: Drei Jahre später findet die Polizei durch einen Zufall den Mörder, weil er selbst Opfer eines Verbrechens geworden ist und Houellebecqs Bild in seinem Keller wieder auftaucht.
„Karte und Gebiet“ hat mir aus mehreren Gründen sehr gut gefallen:
Erstens: Das Buch gibt einen Einblick in die Welt der Kunst, und wie Künstler durch Originalität und fundamental neues Denken große Erfolge haben können.
Jed Martin wirkt allerdings durch einige Probleme und Unvollkommenheiten sehr real: Die Mutter bringt sich um. Der Vater hatte früher Ideale, wendet sich aber dem Kommerz zu, wird farblos und stirbt an Krebs. Olga, die Karrierefrau, die er liebt, geht im Auftrag von Michelin in ihr Heimatland Russland, wodurch die Beziehung endet. Zehn Jahre später kommt sie zurück, aber die Zeit für die Gründung einer Familie ist abgelaufen.
Zweitens: Die ungeheure Selbstironie, mit der Houellebecq sich selbst als schmuddeligen Exzentriker und am Ende als Mordopfer beschreibt, hat mich sehr amüsiert.
Drittens: Houellebecq versteht es, Details interessant zu verpacken und sie einzusetzen, um der Geschichte mehr Tiefe zu geben. Wir lesen zum Beispiel Einzelheiten über das Leben der Stubenfliege (Musca domestica), die ihre Eier in totes organisches Material ablegt, beispielsweise in die enthauptete Leiche des Schriftstellers Michel Houellebecq. Wir lesen aber auch Einzelheiten über die Arbeitsweise der französischen Polizei, die der Autor ausnahmsweise durch Interviews recherchiert hat, wie er in der Danksagung feststellt.
Das Buch enthält sehr lustige Stellen. Zum Beispiel schreibt der Autor in sein Testament, dass er eine Erdbestattung wünscht, weil er Zeit seines Lebens ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Skelett unterhalten hat.
Houellebecq geht humorvoll und etwas morbide mit der eigenen Sterblichkeit um. Er nimmt sie zur Kenntnis, lässt sich aber vom Verfall seines Körpers nicht allzu sehr in seinem künstlerischen Schaffen behindern.
Etwas trauriger sind die Einsamkeit und die Entfremdung, die auch in diesem Buch wieder einmal dazu führen, dass der Protagonist am Ende nur noch auf den Tod wartet. Dazu soll am Schluss die folgende typische Stelle stehen:
War er etwa dabei, freundschaftliche Gefühle für Houellebecq zu entwickeln? Dieser Ausdruck wäre wohl übertrieben gewesen, denn Jed hielt sich ohnehin nicht für fähig, Gefühle dieser Art zu empfinden: Er hatte weder in seiner Kindheit noch in seiner frühesten Jugend lebhafte Freundschaften geschlossen, dabei werden gerade diese Lebensphasen für das Entstehen freundschaftlicher Beziehungen als besonders geeignet angesehen; es war daher recht unwahrscheinlich, dass es nun, in fortgeschrittenem Alter, zu einer Freundschaft mit jemandem kommen sollte. Dennoch hatte er ihre Begegnung letztlich durchaus geschätzt, und vor allem gefiel ihm der Text sehr gut, er war sogar erstaunt, wie groß das intuitive Einfühlungsvermögen des Autors war, wenn er bedachte, dass dieser im Bereich der Malerei keinerlei Vorkenntnisse besaß.